Artikel
von Fritz Christoph

Monatsschrift Unser Pommerland"
9. Jahrgang 1924 - Heft 4/5

Wer auf dem Molenkopf von Rügenwaldermünde stand, hat auch wohl den Blick landeinwärts gerichtet und sicherlich zuerst auf luftiger Höhe das Kirchlein des nahen Bauerndorfes Zizow erschaut, ein altes Wahrzeichen der Fischer und Schiffer. Der Höhenzug, auf dem es liegt, fällt nach dem Meere zu in dem sogenannten Darlowberg sehr steil ab. Zwischen diesem Steilhang und dem Dorf Zizow soll einst in grauer Vorzeit die alte Wendenburg Dirlow gestanden haben, von der aus auch die Gründung der Münde, wie der Ort hier der Kürze halber genannt werden soll, erfolgte.

Der Kastellan von Dirlow ließ an der Wippermündung, wohin fremde Händler kamen, ihre Waren gegen die Rohstoffe der Wenden einzutauschen, einen Krug (taberna) errichten, um Steuern und Gefälle erheben zu können. Das Haus ging noch mit anderen Rechten durch den 1327 geschlossenen Vertrag zwischen Jasco von Zwenzo und Rügenwalde für 213 Mark in den Besitz der Stadt über. Sie hatte nun ein Interesse an dem Ort, der sich inzwischen günstig entwickelt und auf den Handel eingestellt hatte, und schuf dahin einen festen Damm durch das sumpfige Wiesengelände. Damals bestanden überhaupt noch offene Verbindungen zwischen der Wipper und dem Vitter See einerseits (Lytow) und der Wipper und dem Buckower See andrerseits (Trah), so daß die Münde vom festen Lande vollständig abgeschnitten war. Diese beiden schiffbaren Wasserstraßen bestanden bis zu ihrer endgültigen Versandung noch im Umfang des achtzehnten Jahrhunderts.

Wenn nun die deutsche Stadt Rügenwalde aufstrebte, verdankte sie es neben der Fruchtbarkeit der nahen Landschaft dem Hafen auf der Münde. Schon früh entstand ein Bollwerk, das das Laden und Löschen der Schiffe erleichterte, und an beiden Seiten des Flusses dehnten sich die Holzhöfe, Ablagen und Speicher aus, die zum Teil noch heute stehen. Zur Ausfuhr gelangten in der Hauptsache Holz, Getreide und Leinwand. In seiner Entwicklung wurde der Hafen leider ungünstig beeinflußt durch die dauernde Versandung seiner Einfahrt, die durch Wanderung des Sandes infolge der Stetigen Küstenströmung von Westen nach Osten hervorgerufen wurde. Diesem Übelstande suchte man schon bald durch den Bau von Molen abzuhelfen, aber immer vergeblich.

Darum ließ später der große Kurfürst, dem der Ausbau des Hafens sehr am Herzen lag, den Ausfluß der Wipper etwas nach Westen verlegen und auch die neue Mündung durch Molen schützen. Selbst dadurch wurde die Gefahr nicht beseitigt, auch nicht, als viel später der Staat, der 1840 den Seehafen an der Wippermündung übernommen hatte, diese Molen ausbesserte und in der Form erweiterte, wie sie die alte Westmole mit der Nebelglocke noch heute zeigt. Erst der Bau der großen Molen (im Westen 497,5 m, im Osten 240 m lang) in den Jahren 1873-1879 hat darin Wandel geschaffen. Damals erstand der Hafen in seiner heutigen Gestalt mit dem geradegelegten und vertieften Lauf der Unterwipper bis zum Binnenhafen in der Nähe der Stadt. Daß dieser Hafen hier und nicht, wie die ersten Entwürfen es planten, auf der Münde angelegt wurde, ist neben den Wünschen der Kaufmannschaft, den Hafen nahe der Stadt zu haben, auf die Schwierigkeiten des Bahnbaus bis zur Münde zurückzuführen. Auf der Münde entstanden in der Folgezeit die Einrichtungen zum Schutze einer gesicherten Schifffahrt, an der Ostmole das Lotsenhaus und in der Nähe der Durchfahrt durch die Westdüne die Station zur Rettung Schiffbrüchiger.

Die Einwohner der Münde sind schon von altersher Fischer und Schiffer gewesen, freie Leute, die aber der städtischen Gerichtsbarkeit unterstanden und an die Stadt einen Gebäudezins zu zahlen hatten. Eine Feldmark besaßen sie nicht. Sie waren in sieben Genossenschaften eingeteilt und hatten gegen Entgeld die Lotsen für ein- und auslaufende Schiffe zu stellen, mußten beim Bergen und Löschen der Ladungen helfen und die erst im Jahre 1684 über die Wipper gebaute Brücke öffnen. Die Aufsicht über den Hafen und den Schiffsbetrieb übte als Vertreter der Stadt ein Vogt aus, der im Ostkruge wohnte, der dort erbaut war, wo einst die taberna gestanden (Berndts Restaurant). Als Aufsichtsbehörde wurden von der Stadt die Hafenherren bestellt, ein Ratsherr und zwei Kaufleute, die jährlich neu gewählt wurden. Sie waren die erste Gerichtsinstanz der Mündischen, verwalteten die Hafeneinnahmen und trugen vor allen Dingen Sorge für die Instandhaltung des Hafens. Das war eine sehr schwere Aufgabe, denn seine Entwicklung hemmten außer der schon erwähnten Versandung noch Sturmes- und Kriegsnöten.


Rügenwaldermünde: Abend an den Molen
Jedes Jahrhundert hat seine Sturmfluten gehabt, die alle aufzuführen zu weit gehen würde. Ihre Folgen waren immer die gleichen: die Hafenanlagen wurden zerstört und die Münde teilweise überschwemmt und verwüstet. Am meisten immer hatte der Strand an der Ostseite zu leiden, von dem ein Stück nach dem anderen verschwand. Noch in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schützte eine 2,5 m hohe Düne den Ostteil des Ortes, der schon längst gefährdet wäre, wenn nicht der Staat in jüngster Zeit den Betonschutzdamm aufgeführt hätte, die Gewalt der Wellen zu brechen. Die schon 1826 zu diesem Zwecke hergestellte 210 m lange Steinbarre hat sich dazu als unvollkommen erwiesen. Ja, sie hatte sich gar als eine Gefahr für den Strand zu erkennen gegeben, weil sie das übergekommene Wasser am zurückströmen hinderte und es ostwärts abzufließen zwang. Dadurch wurde der Strand unmittelbar hinter der Ostmole weggespült. Daß seit den letzen Jahrzehnten der ganze Oststrand mehr und mehr zurückweicht, ist der Nachteil der wie Buhnen wirkenden langen Molen. Sie zwingen den nach Osten wandernden Sand zum Lagern und erweitern den Strand an der Westseite. Andererseits aber hindern sie dadurch, daß der ostseitig abströmende Sand ersetzt wird. Hier sind sie also an der Verkleinerung der Norddüne schuldig.
Auch die Kriegszeiten sind nicht spurlos an der Münde vorübergegangen. Im Dreißigjährigen Krieg ließ der kaiserliche Kommandant in Kolberg, ehe er im Jahre 1630 die hiesige Besatzung zurückzog, die Bollwerke im Hafen vernichten und die Hafeneinfahrt durch Steinkisten verstopfen. Dieser Schaden wurde aber schnell beseitigt; und das muß nachdrücklich betont werden, Handel und Schiffsbau blühten in den folgenden Jahren trotz der Kriegsnöte tüchtig auf, um aber später ganz bedeutungslos zu sein, besonders zur Zeit des Krieges zwischen Brandenburg und Schweden. Aus dieser Zeit verdient noch erwähnt zu werden, daß an der Landung des Großen Kurfürsten auf der Insel Rügen auch Münder Fischer beteiligt waren, die dabei drei Boote verloren. Nochmals zerstört wurde der Hafen durch die Russen im Siebenjährigen Kriege, und erst im Jahre 1772 erfuhr er durch Friedrich dem Großen eine gründliche Wiederherstellung. Zwei Jahrzehnte später wurde die Wippermündung wegen "einer zu befürchtenden Invasion durch die englische Flotte" befestigt. Zu beiden Seiten entstanden Schanzen, die mit zwölf Geschützen bewehrt waren. An der ruhmvollen Verteidigung Kolbergs nahmen die Münder Fischer insofern rühmlichen Anteil, als sie auf ihren Booten oft Ranzionierte auf die Festung brachten. In der nachfolgenden Zeit der Kontinentalsperre trieben sie Schmuggel, obwohl Wachschiffe an der pommerschen Küste stationiert waren. Ist nun in obigen dargetan, daß die Münde ein alter Hafenplatz ist, so soll nun gesagt werden, warum sie den Ruf eines alten Badeortes verdient. Ja, es muß ihr zum Ruhm betont werden: Sie ist Preußens ältestes Ostseebad. Am 22. Juli 1914 konnte es den Tag seines hundertjährigen Bestehens feiern. Die Gründung erfolgte in einer schweren Zeit, und daß sie dennoch geschah, ist das Verdienst des Arztes Dr. Georg Büttner, der sich 1809 in Rügenwalde niedergelassen hatte. Er faßte bald den Plan, ein Seebad zu gründen, wie es in Doberan in Mecklenburg schon seit 1793 bestand, aber er konnte ihn nicht zur Ausführung bringen, weil seine Geldmittel dazu nicht reichten. Stadt und Staat, die er um Unterstützung bei dem Werke bat, verschlossen sich nicht dem Gedanken der Nützlichkeit des Bades, aber sie waren selbst zu sehr in Not, um helfen zu können. So wäre denn wohl nichts daraus geworden, wen nicht gerade in dieser Zeit die Aufteilung des Vorwerks Schloßhof in der Stadt gefallen wäre (1813). Dadurch wurden einige Wirtschaftsgebäude überflüssig, auch die große Kornscheune, um deren Überlassung Dr. Büttner die Regierung dringend und nicht umsonst bat. Daraus entstand denn auf dem von der Stadt gegebenen Platz am Ostufer, dort, wo heute Köhlers Friedrich-Wilhelm-Bad steht, das Badehaus. Es enthielt neben Speisesaal, Billardstube und Wohnung des Ökonomen an der Ostseite acht Zellen mit Einrichtungen für Warmbäder. Für kalte Bäder in der See war auch Sorge getragen. Zum An- und Ausziehen wurde am Stande ein Bretterhäuschen mit der noch heute üblichen Einrichtung errichtet. Eine noch erhaltene Badeordnung regelte den Betrieb, bei dessen Leitung Dr. Büttner in dem Badediener Johann Ehlert, der auf dem Zuge nach Rußland und in den Befreiungskriegen elf Verwundungen erhalten, einen treuen und zuverlässigen Gehilfen fand. Das junge Unternehmen erfreute sich zunächst nur eines Zuspruches von Badegästen aus der Stadt und deren nähere Umgebung, aber die Zahl der Besucher stieg von Jahr zu Jahr, daß die acht Logierräume nicht mehr für ihre Unterbringung reichten und Bürger und Fischer auf das Ersuchen der Leitung Wohnräume bereitstellen konnten.
Obwohl sich das Bad so günstig entwickelte, brachte es seinem Gründer doch nichts als Unkosten, Ärger und Verdruß, so daß er 1819 gern einem Ruf als Kreisphysikus nach Sprottau annahm, obgleich sein ganzes Vermögen - der Bau kostete doch noch 4524 Taler - in dem Unternehmen verbleiben mußte. Niemand wollte es kaufen, auch die Stadt nicht, der er es für 3600 Taler anbot. Erst später kam es zur Versteigerung in andere Hände, und nun verblieb der Familie des inzwischen verstorbenen Dr. Büttner nicht viel von dem einst aufgewendeten Kapital. Diese Verhältnisse blieben natürlich nicht ohne Einfluß auf das Bad, das jahrelang mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Sie wurden erst behoben, als der schon genannte Badediener Ehlert es erwarb. Seiner rührigen Tätigkeit gelang es, die Zahl der Badegäste allmählich zu vermehren und vor dem Hause durch Baumanlagen Promenaden zu schaffen. Bekannt ist er vor allen Dingen dadurch, daß er am 25. Juni 1822 den nachmaligen König Friedrich Wilhelm IV., der gelegentlich einer Inspektionsreise hier in der See badete, aus Lebensgefahr gerettet hat. Zur Erinnerung daran trägt das jetzige Gebäude - das erste brannte vor ungefähr 50 Jahren nieder - eine Gedenktafel und den Namen Friedrich-Wilhelm-Bad.
Die Münde erfreute sich nun in der Folgezeit eines immer stärkeren Besuches von Badegästen, deren bedeutend wuchs, als infolge der Eröffnung der Rügenwalder Bahn auch aus entfernteren Gegenden Fremde kommen konnten. Inzwischen war dicht an der Ostmole das Strandschloß und ein anderes Warmbad entstanden, und am schönen Weststrand schuf die Gemeindeverwaltung, die zur Hebung des Verkehrs alles nötige getan, ein schönes Familienbad. Die Bewohner haben sich längst nach Möglichkeit auf den Fremdenverkehr eingestellt, so daß weit über 1000 Badegäste hier jeden Sommer Unterkunft finden können. Auch die Stadt hat wesentlich zu seiner Förderung durch Schaffung schöner Wege und Plätze in den Strandwäldchen, die den Ort von beiden Seiten umrahmen, beigetragen. Freilich har er in seiner Entwicklung nicht Schritt gehalten mit anderen Plätzen an der Ostsee, die viel später nach ihm Bäder wurden, aber jedem, der sich zu bescheiden weiß und Erholung finden will, sei es empfohlen.
Auch einer schönen Umgegend entbehrt die Münde nicht. Da ist die nahe Stadt mit ihren Kunstdenkmälern, zu der wunderschöne Wege führen. Der Fußsteig neben der Chaussee wird von zum Teil recht alten Bäumen beschattet, deren zerzausten Kronen wie Wetterfahnen nach Osten weisen und damit jeden belehren, daß hier die Westwinde vorherrschen. Zum Schutze dagegen hat die Stadt zwischen Straße und Wipper einen Park angelegt, der sich auf dem feuchten Untergrund aber nicht recht entwickeln will. Bei windstillem Wetter bietet der Treidelsteig, der die Unterwipper ostseitig begleitet, einen schönen Spaziergang. Für längere Wanderungen sind am Strande schöne Ziele. Im Osten liegt in einer Entfernung von 15 km auf einer Hochfläche Jereshöft mit seiner schönen Steilküste, die an einzelnen mit Dornengestrüpp bewachsenen Stellen hübsche Bilder bietet. Schön ist der Rundblick vom Leuchtturm, der uns nach der einen Seite die See zeigt, die unermüdlich an der Zerstörung der Küste arbeitet, und nach der anderen Seite ein wunderschönes Panorama mit Höhen und Tälern, Wiesen und Feldern, Seen und Wäldern sehen läßt, auf dem im Osten die Salesker Wanderdünen erscheinen. Auch Jereshöft ist ein Badeort geworden, der wirkliche Erholung verspricht. Das kann auch von den beiden Fischerdörfern Neuwasse und Damkerort gesagt werden, die als Ziele einer Westwanderung in Frage kommen. Dort sind in stiller Abgeschlossenheit noch wunderhübsche Gehöfte in alter Bauweise und prächtige urwüchsige Fischergestalten zu finden.
Viele Nichteingeweihte deuten den Namen Rügenwaldermünde dahin, daß sie ihm einen Teil, gewissermaßen einen Vorort, der Stadt Rügenwalde erkennen wollen. Darum seien zum Schluß noch einige Worte über das Verhältnis der beiden Gemeinwesen zueinander gesagt. Die Münde hat ihre selbständige Verwaltung, nur in polizeilicher Hinsicht ist sie der Stadt unterstellt. Dieser Zustand hat oft zu unliebsamen Mißverständnissen Veranlassung gegeben, die ein so notwendiges Miteinanderarbeiten in Frage zu stellen drohten. Da hat es denn auch nicht an Stimmen gefehlt, die eine Vereinigung zu einer stärkeren leistungsfähigeren Gemeinde als die günstigste Lösung betrachteten. Ist es recht bedauerlich, wenn die dahinzielenden Anträge der Münde vor 25 Jahren keine Berücksichtigung fanden, weil die in dieser Angelegenheit etwas engherzige Stadt eine zu große Belastung ihres Etats befürchtete, ist es noch betrübender, daß die mit soviel Hoffnung auf Erfolg geführten Verhandlungen im vergangenen Jahre ergebnislos abgebrochen werden mußten. Vielleicht kommt früher oder später der Tag, der eine Einigung zum Segen für beide Teile bringt.